Lyssna

Festgottesdienst: 35. Jahrestag der deutschen Einheit

Hört oder lest hier die Predigt aus dem Gottesdienst am Michaelistag, Sonntag 5. Oktober 2025.

Episteltext (Apostelgeschichte 12, 6-17): 

In der Nacht, bevor Herodes ihn öffentlich verurteilen wollte, schlief Petrus zwischen zwei der Soldaten. Er war mit zwei Ketten an sie gefesselt. Die beiden anderen Soldaten hielten vor der Zellentür Wache. 

Da trat ein Engel des Herrn herein, und Licht erhellte den Raum. Der Engel weckte Petrus mit einem Stoß in die Seite und sagte: »Schnell, steh auf!« Dabei fielen Petrus die Ketten von den Händen ab. Der Engel sagte zu ihm: »Binde dir den Gürtel um und zieh deine Sandalen an!« Petrus gehorchte. Dann sagte der Engel: »Wirf deinen Mantel über und folge mir!« 

Petrus folgte ihm nach draußen. Er wusste nicht, dass es Wirklichkeit war, was er gerade mit dem Engel erlebte. Es kam ihm vor wie ein Traum. 

Sie gingen am ersten Wachposten vorbei und auch am zweiten. Dann kamen sie zu dem eisernen Tor, das in die Stadt führte. Das Tor öffnete sich von selbst vor ihnen. Sie traten hinaus und gingen bis zur nächsten Straße. 

Dann war der Engel plötzlich verschwunden. Da kam Petrus zu sich und sagte: »Es ist tatsächlich wahr – der Herr hat seinen Engel gesandt. Der hat mich aus der Gewalt des Herodes befreit. Und er hat mich vor einer Verurteilung bewahrt, die sich das jüdische Volk erhofft hatte.« 

Als ihm das klar geworden war, ging er zum Haus von Maria. Sie war die Mutter des Johannes, der auch Markus genannt wurde. Viele aus der Gemeinde waren dort versammelt und beteten. Petrus klopfte an das Tor. Eine Dienerin kam, um zu öffnen. Ihr Name war Rhode. Sie erkannte Petrus an der Stimme. Vor lauter Freude vergaß sie, das Tor zu öffnen. Sie lief zurück ins Haus und meldete: »Petrus steht vor dem Tor!« Die dort Versammelten sagten zu ihr: »Du bist verrückt.« Doch sie blieb dabei. Da meinten sie: »Dann ist es wohl sein Engel.« 

Petrus aber klopfte weiter an. Endlich öffneten sie die Tür. Als sie ihn sahen, waren sie außer sich vor Freude. 

Petrus bat mit einer Handbewegung um Ruhe. Dann erzählte er ihnen, wie der Herr ihn aus dem Gefängnis geführt hatte. Er sagte: »Berichtet das auch Jakobus und den anderen Brüdern und Schwestern!« 

Dann verabschiedete er sich und verließ die Stadt. 

 

Evangelium: Matthäus 18,7-10

Wehe der Welt, denn in ihr werden Menschen von mir abgebracht. Das ist unvermeidlich. 

Aber erst recht wehe dem Menschen, der dazu beiträgt. 

Wenn dich deine Hand oder dein Fuß von mir abbringt: Schlag sie ab und wirf sie weg! Es ist besser für dich, verstümmelt oder lahm bei Gott zu leben – jedenfalls besser, als mit beiden Händen und Füßen ins ewige Feuer geworfen zu werden. 

Wenn dich dein Auge von mir abbringt: Reiß es aus und wirf es weg. Es ist besser für dich, mit nur einem Auge bei Gott zu leben – jedenfalls besser, als mit zwei Augen in das Feuer der Hölle geworfen zu werden. 

Nehmt euch in Acht: Ihr sollt keinen von diesen Geringsten von oben herab behandeln! Denn das sage ich euch: Ihre Engel stehen im Himmel stets unmittelbar vor meinem himmlischen Vater.

Predigt (Pfarrerin Andrea Schleeh): 

Liebe Gemeinde!

Erst einmal, vielen Dank, dass ich heute hier predigen darf. Für mich fühlt es sich geradezu symbolisch an, dass wir den Jahrestag der Wiedervereinigung vor 35 Jahren gerade am Michaelistag feiern. Denn es war ja gerade dieser Erzengel, der im Himmel den Kampf gegen das Böse führte, und Satan aus dem Himmel jagte. Im Himmel ist der Kampf längst entschieden. Aber hier auf Erden steht uns offensichtlich noch einiges bevor.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen ging, in den Jahren vor der Wiedervereinigung, vor dem Mauerfall. Für mich war am Tag des Mauerfalls klar, dass es zu einer Wiedervereinigung kommen würde. Mir kam das alles von klein auf völlig absurd vor. Ich konnte mich nie daran gewöhnen, und war überzeugt, irgendwann ist es vorbei. Nichts Menschengemachtes währt ewig auf Erden. 

Ich bin mit der Mauer aufgewachsen, habe sie immer gesehen, weil wir so nah dran wohnten. Der größte Teil meiner Verwandtschaft war im Osten, in der Zone, wie wir anfangs sagten. Wenn wir unsere Verwandten besuchen wollten, mussten wir das mehrere Tage vorher beantragen. Und vielleicht bekam man eine Einreiseerlaubnis. In den letzten Wochen vor der 40-Jahresfeier am 7. Oktober 1989 bekam man als kirchliche Mitarbeiter*in keine mehr. Denn es waren ja die Kirchen, die den gewaltlosen Widerstand getragen haben. 

Im übertragenen Sinne war das, was mit Petrus geschah, ähnlich dem, was am 9. November 1989 passierte. Die Ketten wurden gelöst, die Mauer fiel. Ein umwälzendes Ereignis, das dann schließlich Wiedervereinigung zur führte. 

Wenn wir an die Jahre vor 1989 zurückdenken, können wir im Nachhinein sehen, dass es sich lohnt, an Gott festzuhalten, zu beten, dem zu folgen, was Christus verkündigte. 

Aber damals haben wohl die wenigsten geglaubt, dass der Glaube Berge versetzen kann. Zu kompliziert waren die Verhältnisse und täglichen Herausforderungen für viele in der DDR, vor allem für Christen. 

In der frühen christlichen Gemeinde in Jerusalem sehe ich ähnliche Herausforderungen. Der eine Apostel, Jakobus, war hingerichtet worden. Petrus wurde ins Gefängnis geworfen, und die andren Gemeindemitglieder und Sympathisanten nahmen die Beine in die Hand und liefen weg, versteckten sich. 

Waren sie feige? Das glaube ich eigentlich nicht. Sie wussten nur nicht, was sie tun sollten. Sie wussten nur, dass sie überleben wollten. Und es ist doch oft vernünftig, sein Leben zu retten, um anderen dann helfen zu können. Naja, wenn man es dann auch macht.

Petrus Freunde versteckten sich jedenfalls. Sie saßen da zusammen, bebten vor Angst, hofften, schmiedeten Pläne, verwarfen sie wieder – und beteten. Wie weit sie mit ihren Plänen gekommen waren, wissen wir nicht. Es spielt auch keine Rolle. 

Eine Rolle spielt Petrus, zu dem der Engel kommt. Oder spielt der Engel eine Rolle, der Petrus aus dem Gefängnis herausführt? Oder spielten seine Freunde, die Gemeinde eine Rolle?

Es sind natürliche beide, die eine Rolle spielen. Der Engel – war es en göttliches Wesen, oder Gottes kraftgebender Geist, oder ein gottgeleiteter Mensch? Auf jeden Fall bewirkt der Engel, dass Petrus sich erhebt, sich anzieht und dem Engel aus dem Gefängnis folgt.

Petrus steht für so viele traumatisierte Menschen, die gerade jemanden Wichtigen verloren haben. Er steht für so viele Menschen, die in ihren Umständen und Verhältnissen festsitzen, und meinen, man könnte eh nichts dagegen tun. Petrus steht natürlich auch für alle die Menschen, tatsächlich festsitzen, im Gefängnis oder in einem Land mit Ausreiseverbot.

Manchmal fragen wir uns, warum der Engel nicht zu allen Menschen kommt und sie herausführt. Ich habe keine Antwort darauf. Aber vielleicht ist da ja ein Engel, nur wir sehen den Engel nicht immer. Oder so wollen wir nichts zu unserer Befreiung beitragen. Letztlich war es Petrus, der herausgehen musste. Und Petrus hatte sich sicherlich auch lieber einen Freispruch und eine öffentliche Entschuldigung gewünscht. Stattdessen musste er sich davonschleichen.

Für mich steht die Geschichte von Petrus und dem Engel auch für das, was in der DDR in den Jahren vorher passierte. Mehr und mehr Menschen bekamen Mut, trauten sich Nein zu sagen, auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren. Die Polen hatten es ihnen vorgemacht. Aber die Gefahr war natürlich noch lange nicht gebannt.

Nun habe ich die ganze Zeit von denen geredet, die festsitzen, herauswollen und hoffentlich herausgekommen sind. Das sind nicht nur andere. Manchmal sind wir selbst diejenigen, die festsitzen, die einen Engel brauchen.

Allerdings glaube ich, dass wir oft die anderen sind, diejenigen, die sich verstecken, die die Tür schließen und niemand hereinlassen wollen, oder es einfach vergessen, den hereinzulassen, der draußen steht. So wie Rhode, die Petrus einfach die Tür vor der Nase zuknallt. Statt ihn hereinzulassen, geht sie zu den anderen, um ihnen zu sagen, dass ihre Gebete erhört wurden und Petrus frei ist.

Leider gibt es heute nach 35 Jahren immer noch Menschen aus den neuen Bundesländern, die sich draußen gelassen fühlen. Und leider gibt es auch immer wieder Menschen in unseren Gemeinden, die sich draußen gelassen fühlen. 

Und das wissen wir alle. Es ist nicht gut, wenn jemand draußen vor der Tür gelassen wird. Meistens passiert das nicht mit Absicht, aber es passiert. Jesu harte Worte im Evangelium für heute können und sollten uns eine Warnung sein. Weh den Verführungen, weh der Menschen die uns verführen. Aber es sind selten Warnungen, die uns davon abhalten, das Falsche zu tun. 

Das, was uns sozusagen auf dem richtigen Weg hält, ist der Glaube an Jesus Christus und die Überzeugung, dass der Kampf zwischen Gut und Böse längst entschieden ist, und das Gute gewonnen hat. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen