Gemeindegeschichte

Die Victoriagemeinde wurde 1903 gegründet. Ihren Namen erhielt sie von der damaligen schwedischen Kronprinzessin Victoria, eine gebürtige Prinzessin von Baden.

Sie war mit dem Kronprinzen und späteren König Gustav V verheiratet.
Die ersten Jahre hatte die Gemeinde keine eigene Kirche sondern mietete Räumlichkeiten in verschiedenen Berliner Kirchen.
Im selben Jahr, 1903, kam der erste Pfarrer in die Gemeinde: Gunnar Helander.

1906 startete die Schwedische Schule. 1911 besuchte Königin Victoria die Gemeinde und ein Komitee wurde eingesetzt, mit dem Zweck, eine eigene Kirche zu bauen. Nach dem ersten Weltkrieg wurde ein Haus in der Landhausstrasse in Wilmersdorf gekauft.

Das Gebäude wurde umgebaut und bot Platz für Kirche, Pfarrbüro, Schule, Leseraum, Pfarrwohnung etc. Im 1922 wurde die Kirche von dem Erzbischof Nathan Söderblom geweiht. Ein gutes Jahr später wurde der schwedische Teil des Friedhofes in Stahnsdorf in Gebrauch genommen.

 
Birger Forell wurde Gemeindepfarrer 1929. Das war das Jahr der Weltwirtschaftskrise mit großer Arbeitslosigkeit unter den Schweden in Berlin. Er begann ein umfassendes Hilfsprogramm für seine arbeitslosen Landsleute. Forell hatte in Deutschland studiert und hatte gute Kontakte in der deutschen Kirche. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 standen viele seiner Kollegen auf der Seite des Widerstandes, mit dem auch Forell sympathisierte. Er sah schnell, dass er seine Hilfsarbeit erweitern musste, um Menschen zu helfen, die von den Machthabern verfolgt wurden - sei es aus rassischen oder politischen Gründen. Auf dem Dachboden der Kirche wurden Verschläge gebaut, in denen sich verfolgte Menschen einen oder ein paar Tage ausruhen konnten. Im Keller wurden neue Wände eingezogen, und in den Zwischenräumen wurden Dokumente versteckt, u. a. auch geheime Unterlagen der Bekennenden Kirche. Als Birger Forell 1942 außerhalb Berlins war, erfuhr er, dass er nicht länger wünschenswert sei. Die deutschen Behörden hatten eine längere Zeit seine Aktivitäten beobachtet. Birger Forell kehrte nach Schweden zurück. Seine Arbeit für das Wohl der Menschen hat er nie aufgegeben.

 
Zum Pfarrer in der Victoriagemeinde wurde Erik Perwe ernannt, eine Ernennung, die den deutschen Behörden sehr genehm war. Perwe war recht jung und sicher leicht zu beeinflussen, dachte man. Erik Perwe war fest entschlossen, Forells Arbeit weiterzuführen und auszubauen. Er soll gesagt haben, ”es ist nicht schwer, die Menschen in die Kirche zu bekommen, aber sehr schwierig, sie mit neuer Identität auszuschleusen”. In seiner Zusammenarbeit mit der Widerstandsbewegung fälschte er Identitätspapiere und Bescheinigungen. Das Gelände der Kirche war gewissermaßen schwedisches Territorium, aber wurde von der Gestapo überwacht. Die Mitarbeiter der Gemeinde mussten ständig aufmerksam sein, in Predigten, Briefen, Telefongesprächen. Als Perwe 1944 für Beratungen nach Schweden flog, wurde das Flugzeug über der Ostsee abgeschossen und alle Insassen kamen ums Leben. Man hat viel über die Ursache des Abschusses spekuliert, ohne jedoch zu einem sicheren Ergebnis zu kommen.

Erik Perwe wurde posthum die israelische Auszeichnung „Gerechter unter den Völkern“ verliehen (2007).

Erik Myrgren war Seemannspfarrer in Stettin gewesen. Als dort die Kirche ausgebombt wurde, wollte er über Berlin nach Schweden zurückreisen. Nach Perwes Tod bat der Erzbischof Erik Myrgren, in Berlin zu bleiben und die Gemeindearbeit fortzuführen. Myrgren staunte nicht schlecht, als er nicht nur eine kleine Gemeinde, sondern auch ein Haus voll mit illegal hier lebenden Menschen vorfand. Er setzte die großartige Arbeit seiner Vorgänger fort, und bekam hierfür – noch zu Lebzeiten -1987 die israelische Auszeichnung „Gerechter unter den Völkern“.

Die Räumlichkeiten der Gemeinde waren in den Bombenangriffen 1943 beschädigt worden, konnten aber weiter genutzt werden. Die letzten Wochen vor Kriegsende hatten mehrere Schweden in dem Legationsbunker in Tiergarten Schutz gefunden, auch die Mitarbeiter der Gemeinde. Tagsüber war Myrgren in der Stadt unterwegs, besuchte Gemeindemitglieder und half überall, wo er konnte. Als Letztes malte er Schilder, die an der Gemeinde aufgestellt wurden mit dem Hinweis, dass es sich hier um schwedisches Eigentum handele. Dies hielt eine Granatwerfergruppe nicht davon ab, sich auf das Gelände zu begeben und von hier aus zu schießen. Trotz mehrerer Granat- und Bombentreffer war das Haus einigermaßen in Ordnung, als die Kampfhandlungen aufhörten.

Die Alliierten hatten verabredet, dass russische Truppen Berlin erobern sollten. Die russischen Soldaten waren nicht gut ausgerüstet. Und ihnen war gesagt worden „in Berlin gibt es alles, wenn Ihr erst da seid…“ Als sie Berlin eingenommen hatten, fanden sie kaum etwas, außer Ruinen. Sie suchten überall nach verwertbaren Dingen und hier in der Kirche fanden sie Vorräte im Keller. Unter anderem Flaschen, von denen sie annahmen, es sei Schnaps darin. Als sie entdeckten, dass es sich um Essigessenz handelte, sprengten sie vor Wut die Kirche – jedoch erst, als alle Menschen draußen waren. Das einzige, was übrig blieb und immer noch existiert, ist der Glockenturm.  

Nach dem Krieg lebten etwa 70 SchwedInnen in Berlin. Sie fingen an, zusammen Gottesdienst in gemieteten Lokalen zu feiern. 1947/48 wurden zwei Baracken auf dem Gelände aufgestellt und man konnte dort Gottesdienst feiern. Da war Berlin schon in vier Sektoren geteilt. Die Gemeinde lag in einem der drei Westsektoren.

1950 kam Heribert Jansson nach Berlin. Er blieb der Pfarrer der Victoriagemeinde für 36 Jahre. Mit seiner Arbeit prägte er den Wiederaufbau und die Konsolidierung der Gemeinde. Wie seine Vorgänger arbeitete er für das Wohl seiner Mitmenschen. Nach dem Mauerbau 1961 sammelte er Pässe von schwedischen Studenten in Lund ein und schmuggelte Menschen aus der DDR. Mehrere Male fuhr er mit seinem CD-beschilderten Auto durch Checkpoint Charlie mit Menschen im Kofferraum. Einmal ging die Kofferraumklappe von alleine auf, während er auf die Abfertigung wartete. Er stieg aus, machte die Klappe zu und passierte die Grenze. Am selben Tag wurden Stasimitarbeiter in der Landhausstrasse gesehen. Diese Episode endete damit, dass Heribert Jansson für 10 Jahre Einreise- und Durchreiseverbot für die DDR erhielt. Die Arbeit, Menschen in der DDR zu helfen, hörte jedoch nicht auf, sondern wurde von anderen Gemeindemitgliedern weitergeführt.

Die Kontakte mit den Kirchen im Ostblock war eine der wichtigsten ökumenischen Aufgaben der Gemeinde in der Mauerzeit.